Unterrichtsversuche

Studie in Österreich mit der Zwanzigeins-App

Wir haben in Österreich erfolgreich einen Schulversuch durchgeführt, in dem die Zwanzigeins-App (https://zwanzigeins.jetzt/app/index.html) eingesetzt wurde, um Eingabedauer und Zahl der Eingabefehler von diktierten Zahlen in Abhängigkeit von der Zahlensprechweise in drei Schulklassen des zweiten Schuljahres zu messen. Die Leitung dieser Studie lag bei unserem Mitglied Prof. Dr. Anita Summer. Sie unterrichtet Mathematikdidaktik an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Unser Mitglied Sabine Schmid hat über diese Untersuchung ihre Masterarbeit in Pädagogik verfasst (Master of Education, Primarstufe) und mit „sehr gut“ bestanden:

Schmid S (2023) Zwanzigeins - Eine empirisch-quantitative Untersuchung zur Zahleninversion in der zweiten Schulstufe. Masterarbeit in Erziehungswissenschaft, Primarstufe. Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems. 

Schmid_Sabine_MA_Prim_2023_final.pdf

Die drei untersuchten Schulklassen aus zwei Schulen umfassen 55 Schulkinder, die alle wie folgt getestet wurden. Mit der App wurden vier Durchgänge mit je 10 diktierten Zahlen pro Kind realisiert (Menüpunkt „Hören & Schreiben“, Level „Leicht“, d.h. 10 zufällig gezogene Zahlen aus dem Bereich 11 bis 99 pro Durchgang), wobei zwei Durchgänge mit der Sprechweise „traditionell-verdreht“ und zwei Durchgänge mit der Sprechweise „zehneins“ erfolgten (siehe App-Hauptmenü „Anleitung“, dort den Punkt "Einstellungen" zur Definition der Sprechweisen). Wir erklären die von Zwanzigeins e.V. im Positionspapier (siehe: https://zwanzigeins.jetzt/aktivitaeten/projekte/vorschlag-zahlensprechweise) empfohlene Sprechweise „zehneins“ mit Hilfe der Zahlen 11, 14, 21, 30, 46: zehneins, zehnvier, zwanzigeins, dreißig, vierzigsechs. Die Abfolge der Sprechweisen wurde systematisch variiert und die so definierten unterschiedlichen Sequenzen den Kindern zufällig zugeordnet, um die Studie im Mittel gegen Lerneffekte als Störgrößen zu schützen (d.h. das Studiendesign ist „randomized controlled panel study with cross-over“). Mit der App wurden pro Durchgang und Kind die Eingabedauer und die Zahl der bei der Eingabe unterlaufenen Fehler dokumentiert. Die folgenden Befunde beziehen sich auf die jeweils zweiten Durchgänge zu einer Sprechweise. Die ersten Durchgänge wurden nach Studienplan als Einübungsphasen (zunächst) von der Auswertung ausgeschlossen.

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Vorteil der stellenwertgerechten Sprechweise. So sank die mittlere Dauer bis zur korrekten Eingabe von 10 diktierten Zahlen von 62 s bei traditionell-verdrehter Sprechweise auf 51 s bei unverdrehter Sprechweise, und die durchschnittliche Fehlerzahl pro Durchgang verringerte sich von 2,6 auf 0,6 Fehler. Der Anteil fehlerfreier Durchgänge (fehlerfrei = alle 10 Zahlen eines Durchgangs ohne Fehler eingegeben) steigt von 22% aller Durchgänge bei traditionell-verdrehter Sprechweise auf 71% aller Durchgänge bei stellenwertgerechter Sprechweise. Jeder berichtete Unterschied ist statistisch hochsignifikant (stets p < 0,001).

Diese relevanten Vorteile ergaben sich, obwohl die Kinder vor der Testung keine pädagogische Einführung in die stellenwertgerechte Sprechweise erhalten hatten. Uns motivieren diese deutlichen Befunde zu einer Ausweitung der Untersuchung und zu neuen Studien mit der App in anderen Bereichen, um die Zwanzigeins-Hypothese weiter abzusichern (diese Hypothese besagt, dass die verdrehte Zahlensprechweise im Deutschen zu Leistungsdefiziten bei Grundschulkindern in Mathematik führt).  

Sekundäranalyse

Der Verein stellt zudem Datenmaterial aus Schulversuchen zusammen, um zu untersuchen, ob es empirische Belege für Leistungsvorteile bei Schulkindern in Mathematik gibt, denen im Unterricht die stellenwertgerechte Zahlensprechweise vermittelt wurde. Es sollen hierzu alle erreichbaren Daten von Schulversuchen eingeschlossen und statistisch einheitlich analysiert werden, in denen sowohl eine stellenwertgerechte als auch die übliche verdrehte Zahlensprechweise verwendet wurden. 

Drei empirisch-pädagogische Studien, in denen die Fehlerhäufigkeit unter Schulkindern oder Studierenden bei stellenwertgerechter und verdrehter Sprechweise der Zahlen verglichen wurden, können in diese sekundäre Analyse einbezogen werden: Schellenberger 1953, Zehner 1955 und Ammareller 2006. Es ist beabsichtigt, zu diesem Projekt einen Bericht für die Vereins-Website und möglicherweise eine wissenschaftliche Publikation zu verfassen.

Hierzu erfolgte auch eine Kontaktaufnahme zu Mathematikdidaktikern.

Auf der Jahrestagung der GDMV 2018 (Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, Deutsche Mathematiker-Vereinigung) an der Universität Paderborn wurde von den Professoren Wolfram Meyerhöfer und Michael Gaidoschik ein Minisymposium zum Thema „Stellenwertverständnis und verständiges Rechnen“ abgehalten. Grundlage des Symposiums waren die Publikationen der Veranstalter aus dem Jahr 2015, die auf der Vereinswebsite vorgestellt werden (siehe https://zwanzigeins.jetzt/infos/literatur). Meyerhöfer und Gaidoschik führten einleitend zum Minisymposium aus: „Die Zahlwortbildung in der deutschen Sprache erweist sich für viele Kinder als Hürde. In verbreiteten Schulbüchern findet sich wenig, das für deren Überwindung hilfreich sein könnte.“ In diesem Zusammenhang sind zwei Vorträge des Minisymposiums am 06.03.2018 hervorzuheben.

Marina Fromme aus Herzebrock-Clarholz trug gemeinsam mit Axel Schulz, Universität Bielefeld, unter dem Titel „Stellenwertverständnis: Materialdeutung, Zahlendreher und inverses Schreiben“ neue theoretische und empirische Analysen zum Stellenwertverständnis im Zahlenraum bis 100 vor, die an 93 Kindern der zweiten und dritten Jahrgangsstufe gewonnen wurden (siehe auch: http://www.springer.com/de/book/9783658147747). Die Autoren beriefen sich vielfach auf die neuropsychologischen Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Prof. Nürk von der Universität Tübingen, wonach die verdrehte Zahlensprechweise einen relevanten nachteiligen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Grundschulkinder in Mathematik hat (siehe auch: Publikationen von Hans-Christoph Nürk). Frau Fromme folgt im Unterricht der Empfehlung von Herrn Gaidoschik, die Einführung des Stellenwertsystems mit einer stellenwertgerechten Sprechweise der Zahlen zu unterstützen.

Fromme und Schulz 2018 beschreiben u.a. Untersuchungen zum Umfang des sog. „inversen Schreibens“: „Insgesamt schreiben zwei Drittel der interviewten Kinder (n=114) wenigstens eine diktierte Zahl invers (die Anzahl der Einer wird rechts notiert, dann links daneben die Anzahl der Zehner – also entgegen der üblichen Schreibrichtung); ein Drittel aller Kinder schreibt mindestens die Hälfte der diktierten Zahlen invers“ (Fromme und Schulz 2018, S. 570, 571). Zu Details siehe auch Schulz 2016. Die Autoren schließen mit einer zentralen Folgerung: „Um zu verhindern, dass die Zahlwortbildung im Deutschen einen negativen Einfluss auf das Verstehen von Zahlen haben kann, empfiehlt sich die explizite Thematisierung und Bewusstmachung der Unregelmäßigkeiten der Zahlwortbildung“ (Fromme und Schulz 2018, S. 572)

Herr Meyerhöfer betonte in seinem Vortrag, dass Sprachstrukturwissen dem Erlernen des Stellenwertsystems vorausgeht und Kindergartenkinder oft zählen können, ohne eine Vorstellung vom Bündelungs- und Positionsprinzip erworben zu haben. Der Aufbau einer solchen „inneren Zahlwortreihe“ erlaubt bereits festzustellen, welche Zahlen größer sind oder nahe beieinander liegen. Die Ausführungen von Herrn Meyerhöfer betonen die Bedeutung der Zahlensprechweise im Lernprozess zu einem Zahlen- und Stellenwertverständnis.

Der Vorsitzende unseres Vereins, Peter Morfeld, nahm an der Veranstaltung teil und stellte die Position und die Ziele von Zwanzigeins e.V. vor und brachte zusätzliche Erkenntnisse aus englischen und niederländischen entwicklungspsychologischen Arbeiten in die Diskussion ein. Bei den laufenden Vereinsprojekten (Zwanzigeins – Vorschlag ZahlensprechweiseZwanzigeins – Unterrichtsversuche) wurde vereinbart, Kontakt zu den Herren Gaidoschik und Meyerhöfer zu halten, ebenso wenn seitens des Vereins ein Austausch mit Herrn Nürk (Zwanzigeins – Empirische Studiengelingen sollte.

Literatur

Ammareller MK (2006) Die nicht-invertierte Zahlensprechweise im arithmetischen Anfangsunterricht am Beispiel der Waldschule Bochum. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt Primarstufe, Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln

Fromme M, Schulz A (2018) Stellenwertverständnis: Materialdeutung, Zahlendreher und inverses Schreiben. In: Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.). Beiträge zum Mathematikunterricht 2018, 569-572. Münster: WTM-Verlag URL: https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/37341/1/BzMU18_FROMME_Stellenwertverstaendnis.pdf

Schellenberger M (1953) Zahlwort und Schriftbild der Zahl, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig

Schmid S (2023) Zwanzigeins - Eine empirisch-quantitative Untersuchung zur Zahleninversion in der zweiten Schulstufe. Masterarbeit in Erziehungswissenschaft, Primarstufe. Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems. 

Schulz A (2016) Inverses Schreiben und Zahlendreher – Eine empirische Studie zur inversen Schreibweise zweistelliger Zahlen. In: Institut für Mathematik und Informatik Heidelberg (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016, 883-886. Münster: WTM-Verlag. URL: https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/35460/1/BzMU16%20SCHULZ%20invers.pdf

Zehner K (1955) Das invertierte Zahlensprechen als pädagogisch-psychologisches Problem. Habilitationsschrift, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften der Technischen Hochschule Dresden