Entwicklung der englischen Zahlwörter
Prof. Thomas Berg und Dr. Marion Neubauer, Institut für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Hamburg, haben die Entwicklung von englischen Zahlwörtern untersucht, wobei sie spezifisch die Numeralien der Zahlen 21-29, 31-39, …, 91-99 in einer Reihe digital auswertbarer Sammlungen englischer Texte auszählten, die aus der Zeitspanne von 1100 bis 1914 stammten (Berg und Neubauer 2014). Die Autoren identifizierten 809 Zahlwortverwendungen, die 402 unterschiedliche Zahlwörter darstellten. Lediglich die Zahl 93 kam in dieser Liste nicht vor.
Im Altenglischen (ca. 450 bis 1100) war die einzig bekannte Form der Numeralien Einer-und-Zehner (mit „and“ als Konjunktion), also so strukturiert, wie heute im Deutschen üblich („two-and-twenty“). Dies bildet die Kategorie 1 der Zahlwörter bei Berg und Neubauer 2014. Im Mittelenglischen (ca. 1100 bis 1500) trat ab ca. 1200 die Zahlwortform Zehner-und-Einer auf, d.h. es erfolgte eine Umstellung der Reihenfolge der Morpheme, aber die Konjunktion „and“ wurde beibehalten (Kategorie 2: „twenty-and-two“). Gegen Ende der mittelenglischen Periode entstand die heute übliche Zehner-Einer-Form, also mit reformierter Reihenfolge wie bei Kategorie 2, jedoch ohne die Konjunktion „and“ (Kategorie 3: „twenty-two“). Diese Form wurde ab ca. 1650 dominant. Die Entwicklung der englischen Zahlwörter erfolgte somit in zwei Schritten: als erstes wurde die Reihenfolge der Morpheme gedreht und dann als zweites die Konjunktion „and“ weggelassen.
Die altenglische Form war erstaunlich persistent und trat sogar bis zum Ende der Beobachtungsperiode, d.h. bis zum Jahr 1914 gelegentlich auf. Berg und Neubauer 2014 nennen einen Einflussfaktor, der diese Persistenz mitbewirkt haben könnte: im Englischen gilt das sog. „short-before-long principle“, d.h. das kürzere Morphem wird üblicherweise vorangestellt. Die Form Einer-und-Zehner genügt diesem Prinzip, da die Einerzahlwörter (mit Ausnahme von „seven“) einsilbig, aber die Zehnerzahlwörter zweisilbig sind.
Berg und Neubauer 2014 sehen als Ursache des Wandels von der altenglischen Kategorie 1 zur Kategorie 2 den Kontakt zum normannischen Französisch ab 1066 (Eroberung Englands durch William the Conqueror), in dem die Form „Zehner-und-Einer“ galt. Aus Sicht der Autoren überzeugten aber auch die Vorteile dieser neuen Reihenfolge, und schließlich ergab sich auch ein Beweggrund, die Konjunktion „and“ zu streichen:
1) Ein Zuhörer kann bei der Zehner-und-Einer-Form (Kategorie 2) sowie Zehner-Einer-Form (Kategorie 3) sofort die Größenordnung der genannten Zahl erfassen und muss nicht warten, bis der Zehner als letztes genannt wird, wie in der Einer-und-Zehner-Form (Kategorie 1).
2) Im Englischen gilt das Prinzip „old-before-new“, dem beim Zählen die Reihenfolgen Zehner-und-Einer (Kategorie 2) sowie Zehner-Einer (Kategorie 3) entsprechen, aber nicht die Reihenfolge Einer-und-Zehner (Kategorie 1).
3) Die altenglische Form (Kategorie 1) erzeugt Inkonsistenzen beim Sprechen von Zahlen mit drei (und mehr) Stellen, da diese Zahlwörter mit dem Hunderter beginnen, was dem Prinzip „lower-before-higher“ widerspricht, nach dem die altenglischen Zahlwörter zweistelliger Zahlen konstruiert sind. Der Wechsel zu Kategorie 2 beseitigt diese Inkonsistenz. Nach Berg und Neubauer sind konsistente sprachliche Strukturen leichter umzusetzen als inkonsistente.
4) Die Autoren sehen in der Konjunktion „and“ (altenglische Form, Kategorie 1) eine Hilfestellung für den Hörer, indem durch das hinzugefügte „and“ auf diese in 3) beschriebene Komplexität der Struktur hingewiesen wird. Dieser Hinweis ermöglicht, das Zahlwort leichter zu erfassen. Mit der Drehung der Morpheme in Kategorie 2 entfiel diese Funktion der Konjunktion „and“, so dass die Struktur ohne Verlust vereinfacht werden konnte, was zu Kategorie 3 führte.
Berg und Neubauer fassen zusammen: „All these arguments lead to the conclusion that the unit-before-ten order is more difficult to process than the inverse order is … In a nutshell, the higher-before-lower order is more efficient.“
Diese Schlussfolgerung der Linguisten Berg und Neubauer korrespondiert mit den von Psychologen gewonnenen Erkenntnissen zu Nachteilen der verdrehten Zahlensprechweise (siehe die Forschungsarbeiten der Arbeitsgruppen um die Psychologen Nürk und Dowker u.a. zu den Auswirkungen der Zahlwörterformen in Zwanzigeins – Deutsch und Niederländisch bzw. Zwanzigeins – Walisisch Tamil Chinesisch vs Englisch).
Wir haben über diese knappe Darstellung hinaus, eine detaillierte Besprechung der Studie von Berg und Neubauer 2014 auf Basis von Originalzitaten mit Darstellung der Methodik, zusätzlicher Ergebnisse und einer ausführlicheren Diskussion erstellt:
Berg_Neubauer_2014_Überblick_Kommentare_30April2021.pdf
Zu der Publikation von Berg und Neubauer 2014 gibt es einen englischsprachigen Beitrag in einem populärwissenschaftlichen Podcast, der die Befunde der Untersuchung gut darstellt: https://podcasts.apple.com/ca/podcast/number-theory/id500673866?i=1000321999330
Literatur
Berg T, Neubauer M (2014) From unit-and-ten to ten-before-unit order in the history of English numerals. Language Variation and Change, 26(1), 21-43. doi:10.1017/S0954394513000203