Die Dezimalzahlen 933 und 270 - 9. Jahrhundert, Indien

Immaterielles Kulturerbe 2017

Auf der Mitgliederversammlung am 26.11.2016 wurde beschlossen, dass der Verein einen Antrag an die deutsche UNESCO-Kommission unterstützt, das Stellenwertsystem als ein immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Der von Prof. Dr. Lothar Gerritzen und PD Dr. Peter Morfeld erarbeitete Antrag zum Thema "Wissen über Herkunft und Ausbreitung von Stellenwertsystem und Ziffernrechnen sowie deren weltweite Verwendung“ erörtert die historische und gesellschaftliche Bedeutung des Systems. Der Antrag thematisiert auch das Problem der verdrehten Zahlensprechweise im Deutschen.

Die Definition des Begriffs eines immateriellen Kulturerbes wird in Abschnitt 2 des zugehörigen UNESCO-Übereinkommens gegeben (http://www.unesco.de/infothek/dokumente/uebereinkommen/ike-konvention.html). Im Kern geht es um kulturelle Ausdrucks- und Wissensformen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Deutschland ist diesem UNESCO-Abkommen 2013 beigetreten und seit dem 01.04.2017 fand die dritte Bewerbungsrunde statt, zu der die deutsche UNESCO-Kommission und die Kultusministerkonferenz aufgerufen haben. Die Anträge waren bis Ende Oktober 2017 über ein Bundesland zu stellen und müssen einem vorgegebenen Antragsformular entsprechen. In NRW wird dieser Vorgang über den Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles Kulturerbe der Uni Paderborn gesteuert.

Beispiele für erfolgreiche Anträge, also zwischenzeitlich im Bundesregister als immaterielles Kulturerbe registrierte Ausdrucks- und Wissensformen, sind die Genossenschaftsidee, die Falknerei und die Morsetechnik. Wie diese Beispiele belegen erfordert eine solche Registrierung als immaterielles Kulturerbe nicht, dass es sich um ein typisch deutsches Kulturgut handelt, das Kulturgut originär aus Deutschland stammt oder dass dies Kulturgut bedroht ist.

Im Folgenden möchten wir darlegen, warum das Stellenwertsystem die Merkmale eines immateriellen Kulturerbes entsprechend dem UNESCO-Übereinkommen erfüllt und daher eine Eintragung in das bundesweite Register gerechtfertigt erscheint.

Das Wissen um das Stellenwertsystem wird von einer Generation zur nächsten weitergereicht. In Schulen werden das System und seine Anwendung (Rechenfertigkeiten) gelehrt und erlernt; dies sichert Identität und Kontinuität in einem Kernbereich moderner Kulturen. Das Stellenwertsystem führte zur Entwicklung von besonderen Techniken im Zusammenhang mit dem Bau von mechanischen und elektronischen Rechenmaschinen und zur Entwicklung von Algorithmen. Das System ist nicht abgeschlossen oder statisch. Weiterentwicklungen führten zur Digitalisierung aller Lebensbereiche und stoßen immer noch Forschungsarbeiten in der Mathematik an. Das Wissen über Bedeutung, Herkunft und Ausbreitung von Stellenwertsystem und Ziffernrechnen ist jedoch ungenügend in der deutschen Öffentlichkeit entwickelt. Die Erarbeitung des Systems im indisch-arabischen Raum sowie die Schwierigkeiten bei seiner nachhaltigen Einführung in Europa werden kaum in der deutschen Gesellschaft realisiert. Wir sind der Überzeugung, dass die Aufnahme der kulturellen Ausdrucks- und Wissensform „Stellenwertsystem“ in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission einen wichtigen Schritt darstellen kann, um eine der Bedeutung dieses Kulturgutes angemessen erscheinende Wertschätzung zu erreichen und sicherzustellen.

Der Antrag „Stellenwertsystem“ wurde am 12.10.2017 beim Kultur- und Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingereicht. Mitte April 2018 tagte die zuständige NRW-Jury und hat den Antrag positiv bewertet, d.h. der Antrag "Stellenwertsystem" wurde für eine Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis bei der Deutschen UNESCO-Kommission durch das Land NRW nominiert. 

Hier der Antragstext und die zugehörige Anlage:

IKE-Antrag_Stellenwertsystem_12Okt2017.pdf

IKE-Antrag_Stellenwertsystem_Anhang_12Okt2017.pdf

Die unerwartete Ablehnung des Expertenkomitees „Immaterielles Kulturerbe“ der Deutschen UNESCO-Kommission und dem Sekretariat der Kultusministerkonferenz erfolgte am 07.12.2018:

DUK_KMK_07.12.2018.pdf

In dem Schreiben bedauern die Autoren die Ablehnung des Antrages und motivieren zur Neueinreichung. Um die kritischen Anmerkungen möglichst effektiv bei einer Neubewerbung berücksichtigen zu können, haben sich Prof. Dr. Lothar Gerritzen und PD Dr. Peter Morfeld am 08.01.2019 mit folgendem Schreiben inkl. Anhang an das Expertenkomitee gewandt, mit der Bitte um Unterstützung bei der korrekten Auslegung der Kommentare:

Ihr Schreiben vom 07.12.2018 Bewerbung für das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Stellenwertsystem.pdf

Kommentare zum Ablehnungsschreiben der UNESCO-Kommission vom 07.12.2018.pdf

Herr Neef, zuständiger Referent für das Thema „Immaterielles Kulturerbe“ bei der Deutschen UNESCO-Kommission antworte im Auftrag des Vorsitzenden des Expertenkomitees am 25.01.2019 und erläuterte die Ablehnungsgründe:

AW Ihr Schreiben vom 07.12.2018 Bewerbung für das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Stellenwertsystem.pdf

Prof Gerritzen und Dr. Morfeld antworteten Herrn Neef am 02.03.2019:
Wir verstehen dies „insofern als eine begründete Kritik an unserem Antrag, da wir nicht ausführlich dargestellt und belegt haben, dass das Stellenwertsystem tatsächlich in der Schule gelehrt und gelernt wird sowie umfangreiche und detaillierte kulturelle Praktiken durch die Schul- bzw. Kultusministerien in Form von Lehr- und Kernlehrplänen vorgegeben werden und diese Praktiken tatsächlich lebendig sind. In unserer Neufassung des Antrages werden wir Wert darauf legen, dass dies deutlich wird. Wir hatten diese Tatsache als selbstverständlich vorausgesetzt, und deshalb keine Belege durch entsprechende Referenzen gegeben.“ Hier das vollständige Antwortschreiben:

AW AW Ihr Schreiben vom 07.12.2018 Bewerbung für das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes Stellenwertsystem.pdf

Ein neues Antragsformular wurde im März 2019 von der UNESCO-Kommission bereitgestellt. Eine entsprechende formale und inhaltliche Anpassung des existierenden Antrages wurde durchgeführt. Im Rahmen der vierten Bewerbungsrunde, die im Zeitraum April 2019 bis Oktober 2019 stattfand, wurde am 10.10.2019 erneut beim Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW eingereicht.